In der 10. Klasse habe ich Homo faber gelesen. Ich konnte nicht wirklich was mit dem Buch anfangen, fand den Protagonisten einfach nur ätzend und die ganze Geschichte hanebüchen. Vor zwei Jahren dann stand Homo faber auf der Liste meines Buchclubs, und ich hab’s noch mal gelesen. Und dachte: Krass, das Buch ist super aktuell. Was für ein tolles Buch.

Vielleicht kennst du das ja auch: Du liest denselben Text mehrfach und interprierst komplett unterschiedliche Dinge hinein. Vielleicht bist du auch einfach mit anderen Menschen unterschiedlicher Meinung zu einem Zeitungsartikel. Sprache ist nämlich nur scheinbar klar. In Wahrheit deuten wir sie mit unserer Erfahrung, unserer aktuellen Stimmungslage, dem, was wir darin lesen wollen. Vielleicht hören wir auch anderen zu, die besonders spannend und geschickt über den Text sprechen, erkennen ihre Argumente im Texte wieder und schließen uns ihnen schließlich an.

Als Autorin und Buchcoach weiß ich, dass Texte nicht eine feste Bedeutung haben, sondern immer auch davon abhängen, wer sie liest.

Ein Glück, dass es Zahlen gibt. Die sind nämlich klar und eindeutig, können nicht unterschiedlich interpretiert werden und sprechen nur eine Sprache.

Die Autorin in mir würde das gerne glauben. Aber da stecken ja noch mehr in mir drin, zum Beispiel die Analystin und Finanzleiterin, die ich mehr als zehn Jahre lang war. Und die können dazu nur sagen: leider nein. Zahlen sind genauso interpretationswürdig und -bedürftig wie Texte. Und gerade das macht es für viele so schwierig, mit ihnen zu arbeiten. Eine 7 ist nicht einfach eine 7. Sie ist eine 7 in einem bestimmten Zusammenhang unter einem bestimmten Blickwinkel.

Und das hat drei Effekte zur Folge, die bei vielen dazu führen, dass ihr Onlinebusiness weniger erfolgreich ist, als es sein könnte. Oder manchmal auch gar nicht erfolgreich.

Effekt 1: »Ich guck‘ nicht!«

Wenn irgendwo bei uns Haus eine riesige Spinne sitzt, bewege ich mich vorsichtig weg und überlasse meinem Mann das Feld, damit er sie in selbiges transportieren kann.1Neben Reifenflicken ist das, glaube ich, die einzige Sache, in der ich auf eine solch klassische Rollenverteilung zurückgreife. Ich arbeite dran. Ich ziehe mich dann zurück, mache was anderes, schau gar nicht hin.

Genauso machen es manche mit Zahlen: Sie haben schlechte Erinnerungen daran, ein bisschen Angst davon und bauen drauf, dass sich jemand anderes darum kümmert. Schauen nicht hin. Oder nicht so genau.

Weißt du, wie hoch die laufenden Kosten deines Unternehmens sind? Und wie sie sich zusammensetzen? Und wenn nein: Wie lange würdest du brauchen, um das herauszufinden?

Das Dumme ist: Dinge, die wir uns nicht anschauen, können wir nicht unter Kontrolle behalten. Und wir können auch keine Erafhrung damit sammeln, uns nicht verbessern. Wenn wir immer Angst vor Zahlen haben, wenn wir uns nie damit auseinandersetzen, beschäftigen wir uns mit allem Möglichen, verpassen Chancen und übersehen Risiken.

Effekt 2: »Ach so!«

Zahlen haben auf manche Menschen eine geradezu hypnotische Wirkung. Ich sage, dass ich den 1. Platz in meiner Vergleichsgruppe einnehme, dass ich mit 10/10 Punkten bewertet wurde oder dass ich 100.000 Euro Umsatz gemacht habe2Über den 100.000-Euro-Umsatz-Fetisch werde ich noch mal einen eigenen Artikel schreiben. Das geht mir nämlich auch gewaltig auf die Nerven. , und manche Menschen hören nur 1, 10 und 100.000.

Dabei steckt die Info nie in der Zahl allein, sondern in ihrem Kontext. Was ist die Vergleichsgruppe? Sind das Online-Unternehmerinnen mit dem Vornamen Yvonne, die im selben Gebäude wie ich einen Büroraum angemietet haben? Und wie viele Leute haben mich bewertet? Wie lautete die Frage? Und Umsatz – brutto oder netto? In welchem Zeitraum? Und zu welchem Preis, also mit welchen Kosten? Und überhaupt: Wovon reden wir hier eigentlich?

Was sich spaßig anhört, wird gerne zur Manipulation verwendet. Denn wenn ich wichtige Informationen unter den Tisch fallen lasse, hören sich meine Zahlen plötzlich viel besser an. Und beeinflussen Menschen, Entscheidungen in meinem Sinne zu treffen.

Viele Menschen hinterfragen Zahlen nicht, weil sie nicht als diejenigen dastehen wollen, die die Zahlen nicht auf Anhieb verstehen. Dabei ist das nahezu unmöglich. Ohne Kontext und Erklärung haben Zahlen nämlich keinen wirklichen Aussagewert. Hinterfragen ist nicht nur immer erlaubt, sondern in jedem Fall sinnvoll. Du zeigst damit Interesse, beschäftigst dich inhaltlich mit dem Thema (denn jede Frage über Zahlen führt zu einer inhaltlichen Antwort) und wirst sicherer im Thema.

Fun Fact: Meine Schwerpunktfächer im Studium waren unter anderen Finanzierungslehre und Unternehmensrechnung. Wirklich gelernt, mit Unternehmenszahlen umzugehen, habe ich aber erst, als ich dafür verantwortlich war und Pläne, Monatsabschlüsse und Bilanzen den Gesellschaftern vorstellen musste. Und zwar inhaltlich. Das ist nämlich das Tolle an Zahlen. Wenn man sie hinterfragt und verstehen will, lernt man unheimlich viel über die dahinterstehenden Zusammenhänge. Aus dem Grund unterstütze ich im Web Business Club auch dabei, einen Überblick über die eigenen Zahlen zu gewinnen.

Effekt 3: »Ja, nehm ich.«

Scheu vor Zahlen führt dazu, dass ich anderen die Deutungshoheit über sie gebe. Das trifft vor allem auf Preise zu. Vielleicht kennst du den sogenannten Ankereffekt. In der Psychologie lernt man das als kognitive Verzerrung, also einen Fehler in unserer Wahrnehmung. Außerdem wird’s bewusst als Marketinginstrument eingesetzt. 3Wie übrigens viele andere kognitive Verzerrungstypen. In diesem Rad sind die wichtigsten aufgeführt: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cognitive_bias_codex_en.svg?uselang=de, und viele davon findet man im Marketing wieder. Auch dazu wird’s einen eigenen Artikel geben.

Der Preis, der als erster genannt wird, ist der sogenannte Ankerpreis. Das muss nicht mal ein Preis sein, sondern kann auch irgendeine andere Zahl sein. Beispiel: Ein Coach schreibt, dass er selbst im letzten Jahr 120.000 Euro »in sich investiert hat« und nennt anschließend seinen Preis in Höhe von 10.000 Euro. Hört sich gar nicht mehr so viel an, oder?

Ein anderer Effekt ist die sogenannte innere Buchhaltung. Wenn ich diesen Monat schon 200 Euro für Bücher ausgegeben habe, tue ich mich schwer damit, weitere 20 Euro auszugeben. Aber der Kurs für 1.000 Euro ist noch drin, denn der letzte ist schon etwas her.

Zahlen zu ignorieren, sich ihnen nicht zu stellen und sie nicht zu hinterfragen, sorgt dafür, dass wir einfach zugreifen und hinnehmen, wenn Menschen Preise setzen, die uns eigentlich zu hoch sind.

Was du tun kannst, um Zahlen im Onlinebusiness besser zu verstehen

Mein einfachster und bester Tipp, um ein Gefühl für Zahlen zu entwickeln, lautet: Frag immer solange nach, bis du weißt, was die Zahl wirklich bedeutet. Woher kommt sie, wie wurde sie ermittelt, woraus setzt sie sich zusammen, was repräsentiert sie? Es gibt keine schlechten Fragen zu zahlen, und wenn jemand sie nicht erklären will, kann diese Person es meistens nicht.

Gerade die Stellen, die wir nicht so gerne anschauen, sind unsere offenen Flanken im Business. Wenn du extrem froh bist, keine Zahlen anzuschauen, solltest du es vielleicht gerade tun. Ohne Druck, ohne Richtig-Falsch-Gedanken im Kopf. Reserviere dir einfach eine halbe Stunde pro Woche, in der du dir eine Zahl in deinem Business anschaust. Vielleicht fängst du mit einer besonders großen Zahl an. Und dann überlegst du dir, was inhaltlich hinter dieser Zahl steckt. Welche Faktoren auf sie Einfluss hatten. Wie sie sich verändern würde, wenn du diese Faktoren verändern würdest. Glaub mir, das macht sogar Spaß.

Klar kannst du deine Buchhaltung auslagern und dich auf Expert*innen zum Thema verlassen. Nur: Deine Business-Entscheidungen triffst du allein, und du allein trägst die Verantwortung dafür. Deswegen ist es so wichtig, dass verstehst, was am Ende dabei herauskommt. Damit du’s im Zweifel so ändern kannst, wie es für dich am besten ist.

Keine Lust mehr auf höher, schneller, weiter - aber Spaß an Ergebnissen?

Du findest mich im Web Business Club!

Über die Autorin

Yvonne

Yvonne hat ihre Business-Laufbahn ganz klassisch mit einem BWL-Studium begonnen und anschließend in einer Unternehmensberatung viel über die Arbeitswelt und übers Business gelernt. Ein weiteres Studium (Bildungswissenschaft) und knapp zehn Jahre später startete Yvonne bei einem E-Commerce-Unternehmen durch - bis sie schließlich in die Geschäftsführung einstieg und dem Unternehmen mehrere Rekordjahre verschaffte. Heute arbeitet Yvonne als Autorin und Coach und hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen eine Stimme zu geben und das Onlinebusiness transparenter und ehrlicher zu machen.

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